Neues aus unserer Sammlung

Frühe Quellen der Englischen Suiten J.S. Bachs in Leipzig vereint

 

Die »Englischen Suiten« – eine der bekanntesten Werksammlungen für Tasteninstrumente Johann Sebastian Bachs – sind nicht im Original überliefert. Dank einer Schenkung der britischen Unternehmerfamilie Kohn sind die ältesten Abschriften der Suiten nun in Leipzig vereint und erstmals öffentlich zugänglich: Ab dem 2. Februar 2024 werden die vier Manuskripte von der Hand des Bach-Schülers Heinrich Nikolaus Gerber in der Schatzkammer des Bach-Museums Leipzig gezeigt.

 

Johann Sebastian Bachs sogenannte »Englische Suiten« gehören zu den Meisterwerken der späten Weimarer und frühen Köthener Jahre des Komponisten. Den um 1724/25 von Bachs Privatschüler Heinrich Nikolaus Gerber in Leipzig angefertigten Abschriften von vier der Suiten kommt eine besondere Bedeutung zu: Es handelt sich um die frühesten bekannten Quellen der Kompositionen, die direkt unter den Augen des Thomaskantors entstanden sein müssen.

 

Titelblatt und erste Notenseite der Englischen Suite d-Moll, BWV 811Die Handschriften Gerbers galten jahrzehntelang als verschollen. Später befanden sie sich im Privatbesitz des britischen Pharmakologen, Musikers, Bach-Liebhabers und Mäzens Sir Ralph Kohn (1927–2016), der in Leipzig als Kind eines jüdischen-orthodoxen Textil-Kaufmanns geboren wurde. 1933 musste Ralph Kohn mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten aus Leipzig fliehen, blieb seiner Geburtsstadt und ihrer reichen Musiktradition jedoch Zeit seines Lebens emotional verbunden. Am 1. Februar 2024 präsentierte der Direktor des Bach-Archivs Leipzig, Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Wollny, die vier Quellen erstmals im Rahmen eines Pressetermins der Öffentlichkeit.

 

Prof. Dr. Peter Wollny: »Sir Ralph Kohn war Gründungsmitglied des Kuratoriums der Stiftung Bach-Archiv Leipzig und hatte diesem 2011 zwei der Abschriften übertragen. In diesem Jahr erhielten wir von seiner Tochter Michelle Kohn die beiden anderen zum Geschenk. Ich bin der Familie Kohn zutiefst dankbar, dass wir so die Möglichkeit haben, diese vier bedeutsamen Quellen erstmals und vereint öffentlich in der Schatzkammer des Bach-Museums Leipzig zeigen zu können.«

 

> Hier geht es zu den Scans der Handschriften in den Digitalen Sammlungen.

 

Frühe Notenhandschrift Carl Philipp Emanuel Bachs

 

Auf einer Auktion des Londoner Auktionshauses Sotheby‘s erwarb das Bach-Archiv Leipzig 2021 die bislang verschollen geglaubte originale Handschrift des Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach. Das seltene Frühwerk war 1731 in Leipzig entstanden. Am 13. April präsentierten die Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig, Dr. Skadi Jennicke, und der Direktor des Bach-Archivs, Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Wollny, die frisch restaurierte Partitur samt Stimmensatz der Öffentlichkeit.

 

Der Komponist hatte das dreisätzige Stück für Violine, Flöte und Generalbass im Alter von 17 Jahren unter den Augen seines Vaters geschrieben und in späteren Jahren überarbeitet. Mit dem Ankauf durch das Bach-Archiv Leipzig kehrt dieses singuläre Quellenmaterial zur Bach-Rezeption an den Ort seiner Entstehung – den Leipziger Thomaskirchhof – zurück. Hier ist es erstmals und zudem dauerhaft öffentlich zugänglich.

 

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs Leipzig: »Der Komponist Carl Philipp Emanuel Bach hat den Großteil seines Leipziger Frühwerks in späteren Jahren selbst vernichtet. Es ist daher sowohl für die Stadt Leipzig als auch für die Musikforschung bedeutsam, dass Partitur und Stimmen einer 1731 entstandenen und später überarbeiteten Triosonate Bachs nun die Sammlung des Bach-Archivs Leipzig bereichern. Das Werk stammt aus der Feder eines 17-Jährigen, der geprägt ist von dem reichen Musikkosmos Leipzigs. Die Aura der belebten Kantorenwohnung am Thomaskirchhof, die Ausbildung an der Thomasschule und das studentische Musizieren formten einen jungen Musiker, der später als einer der bedeutendsten Komponisten der Empfindsamkeit und hoch angesehener Musikdirektor der Stadt Hamburg in die Musikgeschichte einging.«

 

Die mit großzügiger Unterstützung der privaten Spenderinnen und Spender Barbara Lambrecht-Schadeberg, Adelheid und Jon Baumhauer sowie Dr. Arend Oetker erworbene autographe Notenhandschrift hatte sich im Nachlass des Händel-Forschers Friedrich Chrysander (1826–1905) erhalten und war bis zur Auktion im Besitz seiner Nachkommen verblieben. Im Anschluss an den Ankauf wurde das Quellenmaterial durch die auf Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut spezialisierte Schempp Bestandserhaltung GmbH in Kornwestheim umfänglich restauriert.

 

Dr. Skadi Jennicke, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig: »Die Musikstadt Leipzig ist nach außen hin weithin sichtbar durch ihre berühmten Institutionen, traditionsreichen Stätten und beliebten Veranstaltungen. Ihr Fundament aber liegt in dem Schatz ihrer musikalischen Denkmäler: die seit mehr als fünf Jahrhunderten hier zusammengetragenen wertvollen Handschriften und gedruckten Ausgaben. Sie bilden das bedeutsame Erbe, das es zu pflegen, zu mehren, zu erforschen und für die Praxis aufzubereiten gilt. Auch das Bach-Archiv wurde einst gegründet, um die in Leipzig befindlichen Kompositionen der Musikerfamilie Bach zu bewahren. In den vergangenen Jahren konnte die einzigartige Sammlung des Hauses erfolgreich erweitert werden; sie ist mittlerweile ein Magnet für Wissenschaftler:innen und Musiker:innen aus aller Welt. Ich freue mich, dass sich mit der in Leipzig entstandenen Triosonate nun auch eine seltene originale Handschrift des jungen Carl Philipp Emanuel Bach in diese Sammlung einreiht.«

 

> Hier geht es zu den Scans der Handschrift in den Digitalen Sammlungen.

 

Die Bach-Gesamtausgabe aus dem Besitz von Gustav Mahler

 

Dem Bach-Archiv Leipzig gelang der Ankauf eines Exemplars der ersten Bach-Gesamtausgabe (erschienen in Leipzig zwischen 1851 und 1900) aus dem Besitz des Komponisten Gustav Mahler. Vier der Bände enthalten umfangreiche Eintragungen von Mahlers Hand. Eingelegt sind handschriftliche Notenbögen mit Mahlers Bearbeitung der Gavotte aus der Bachschen Ouvertüre BWV 1068. Die 59 Bände umfassende Ausgabe befand sich zuvor im Privatbesitz in London. Ermöglicht wurde der Ankauf durch Mittel der B.H. Breslauer Foundation, der Kulturstiftung der Länder sowie mit Unterstützung zahlreicher privater Spenderinnen und Spender.

 

Am 10. November 1909 dirigierte Gustav Mahler im Rahmen einer von ihm in New York etablierten Serie von »Historical Concerts« erstmals seine »Bach-Suite«. Er bearbeitete hierfür Teile der zweiten und dritten Orchestersuite Johann Sebastian Bachs und setzte sie zu einem sinfonischen Werk zusammen. Wann Mahler begann, sich intensiv mit dem Werk Bachs zu beschäftigen, bleibt zu erforschen. Vermutlich hat er bereits in seinen Leipziger Jahren (1886–1888) die seit 1851 im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel sukzessive erscheinende Bach-Gesamtausgabe subskribiert und die bis dahin erschienenen Bände erworben.

 

Diese erste Bach-Gesamtausgabe wurde 1850 auf Betreiben von namhaften Leipziger und internationalen Musikern ins Leben gerufen und von der zu diesem Zweck gegründeten Bach-Gesellschaft editorisch betreut. Die einst durch Felix Mendelssohn Bartholdy etablierte Leipziger Bach-Pflege blühte zu dieser Zeit und die Orchestersuiten Bachs hatten einen festen Platz im Repertoire des Gewandhausorchesters, das der junge Gustav Mahler als Kapellmeister des Stadttheaters Leipzig regelmäßig dirigierte.

 

Nach Mahlers Leipziger Zeit fand die Bach-Gesamtausgabe einen würdevollen Platz in seinem Komponierhäuschen in Maiernigg am Wörthersee (nach Auskunft seiner Frau Alma waren in diesem kleinen Häuschen neben einem Flügel und den Gesamtausgaben von Goethe und Kant »an Noten nur Bach« vorzufinden – also die hier beschriebenen Bände). 59 von insgesamt 61 erschienen Bänden hinterließ er seinen Erben – es fehlen lediglich Band IV (Matthäus-Passion) sowie der erst nach Mahlers Tod erschienene Nachtragsband. Vier der Bände (Weihnachts-Oratorium, Kunst der Fuge, Orchestersuiten, Violinsonaten) enthalten zum Teil umfangreiche handschriftliche Eintragungen. Diese dokumentieren Gustav Mahlers analytisches und künstlerisches Verständnis von Bachs Musik, geben wertvolle Einblicke in seine Interpretationen und beleuchten zahlreiche Aspekte seiner Aufführungspraxis. Von besonderem Wert ist Mahlers Bearbeitung der Gavotte aus der dritten Orchestersuite, die dem betreffenden Band als Autograph beiliegt.

 

Die Provenienz der Bände lässt sich lückenlos verfolgen: Nach Gustav Mahlers Tod erbte seine Witwe Alma Mahler-Werfel die Bach-Gesamtausgabe. Nach deren Tod im Jahr 1964 gingen sie in den Besitz von Mahlers Tochter Anna Mahler (bis 1988) und später in den seiner Enkeltochter Marina Fistoulari-Mahler über. Bei einer Auktion des Hauses Sotheby’s ersteigerte am 29. Mai 1992 schließlich ein Londoner Privatsammler die Ausgabe.

 

Mit dem Ankauf des beschriebenen Exemplars der Bach-Gesamtausgabe durch das Bach-Archiv Leipzig ist dieses singuläre Quellenmaterial zur Bach-Rezeption von Gustav Mahler für die musikwissenschaftliche Forschung erstmals und zudem dauerhaft öffentlich zugänglich.

 

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs Leipzig: »Bisher befanden sich die Bände stets in Privatbesitz und standen für eine wissenschaftliche Auswertung noch nie zur Verfügung. Das Potential für neue Erkenntnisse und eine revidierte Bewertung von Mahlers Bach-Interpretationen erscheint sehr hoch. Ich bin allen Förderern für die großzügige Unterstützung dieses bedeutenden Ankaufs dankbar.« Geplant ist, die Bände im Rahmen einer Sonderausstellung im Bach-Museum Leipzig öffentlich zu zeigen.

 

Dazu Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder: »Gustav Mahlers Gesamtausgabe der Werke Bachs ermöglicht es, nachzuvollziehen, wie Mahler Bach verstanden hat und wie er dessen Werke interpretierte und aufführte. Mit dem Ankauf für das Bach-Archiv Leipzig kehrt die Ausgabe zurück an Bachs Hauptwirkungsort und kann dort einem breiten Publikum präsentiert werden. Bislang befand sich die Ausgabe ausschließlich in Privatbesitz – nun kann sie erstmalig umfassend untersucht und Forscherinnen und Forschern weltweit zugänglich gemacht werden. Ich freue mich auf viele neue Erkenntnisse über Mahlers Sicht auf Bach und die Bach-Rezeption des beginnenden 20. Jahrhunderts.«

 

> Hier geht es zu den Scans der handschriftlichen Eintragungen Mahlers in den Digitalen Sammlungen.

 

Ein bislang unveröffentlichter Brief Carl Philipp Emanuel Bachs

 

Das Bach-Archiv Leipzig hat seine Sammlung um einen bislang unveröffentlichten Brief Carl Philipp Emanuel Bachs erweitert. Es handelt sich um ein zweiseitiges Schreiben mit außergewöhnlicher Provenienz, das der bedeutende Hamburger Musikdirektor Bach zwei Jahre vor seinem Tod an den Leipziger Verleger Engelhard Benjamin Schwickert richtete.

 

 

Der Brief vom 4. August 1786 behandelt die Vorbereitung einer Neuausgabe von Carl Philipp Emanuel Bachs »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen« – einem der bedeutendsten musikalischen Lehrbücher des 18. Jahrhunderts. Unter anderem schreibt Bach an Schwickert: »Welch Glück, ein Lehrbuch ohne Fehler, wie es jetzt ist, u. dergleichen ganz gewiß in der Welt nicht ist, zu haben!«. Der Ankauf ergänzt die umfängliche im Bach-Archiv Leipzig verwahrte Briefsammlung der Familie Carl Philipp Emanuel Bachs. Diese umfasst 39 Briefe des Komponisten (Sammlung Kulukundis) und zudem 37 erhaltene Briefe von dessen Tochter Anna Carolina Philippina Bach.

 

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs Leipzig: »Die Rückkehr eines unbekannten Briefes des zweiten Bach-Sohns an seinen ursprünglichen Bestimmungsort ist ein besonderer Glücksfall. Das inhaltsreiche Schreiben beleuchtet C. P. E. Bachs Bemühungen um eine Neuauflage seiner Klavierschule und spiegelt mit seinen zahlreichen Details ein Stück Lebenswirklichkeit des späten 18. Jahrhunderts. Da das Bach-Archiv bereits zwei an den Leipziger Verleger Schwickert gerichtete Briefe C. P. E. Bachs verwahrt, ergeben sich für die wissenschaftliche Forschung neue Perspektiven.«

 

In den über 230 Jahren nach seiner Zustellung wanderte der Brief mit seinen jeweiligen Besitzern von Leipzig über Berlin und Wien nach New York und zuletzt nach Miami Beach. Dort war er Teil der »John and Johanna Bass Collection«. Das aus Wien stammende jüdische Ehepaar John und Johanna Bass hatte seine bedeutende private Kunstsammlung im Jahr 1963 der Stadt Miami Beach unter der Auflage gestiftet, diese in einem Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Folge entstand in Florida das 1964 eröffnete Bass Art Museum.

Der erfolgreiche Kaufmann John Bass kam 1914 über Paris nach New York und stieß 1925 zu der in Puerto Rico ansässigen Fajardo Sugar Company, Titelblatt der 3. Auflage von C. P. E. Bachs »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen« (Bach-Archiv Leipzig, Rara II, 46-B)in deren Hierarchie er bis zum Präsidenten aufstieg. Das Ehepaar Bass hatte den Brief Bachs vermutlich im Jahr 1934 auf einer Auktion der Firma Artaria & Co in Wien ersteigert, in der der Nachlass von Alfred Freiherr von Liebieg (1854–1930) veräußert wurde. Vermutlich gab es persönliche oder geschäftliche Beziehungen des Ehepaars Bass zur Familie Liebieg: Alfred von Liebieg wirkte in Wien als Zuckerindustrieller und war somit in derselben Branche tätig wie Bass in New York. Alfred von Liebieg hatte den C.-P.-E.-Bach-Brief vermutlich im Jahr 1901 auf einer Auktion des Berliner Antiquariats Leo Liepmannssohn erworben. Die Provenienz im 19. Jahrhundert ist unklar, möglicherweise war der Brief – wie auch ein anderer Brief C. P. E. Bachs an Schwickert – vormals Teil der seinerzeit berühmten Briefsammlung von Alfred Bovet (1841–1900).

 

2019 bot das in New York ansässige Antiquariat J. & J. Lubrano dem Bach-Archiv Leipzig die Handschrift exklusiv zum Kauf an. Der Ankauf wurde ermöglicht mit großzügiger Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der American Friends of the Leipzig Bach Archive und des Packard Humanities Instituts (Los Altos, Kalifonien) sowie mit namhaften privaten Spenden.

 

> Hier geht es zu den Scans des Briefes in den Digitalen Sammlungen.

 

Hunderte Handschriften und Drucke zur Geschichte des Thomanerchores

 

Nach der 1951 erfolgten Übergabe der 44 Bachischen Originalstimmsätze und einer 1980 vorgenommenen Erweiterung dieser Dauerleihgabe um 62 herausragende Einzelobjekte zur Musik der Thomaskantoren des 17. bis 19. Jahrhunderts, konnten wir die Thomana-Sammlung im April 2019 um weitere 700 Stücke ergänzen.

 

Eintragungen im »Sinnerschen Legat« mit der Unterschrift J. S. Bachs (1741)Die enthaltenen Handschriften und Drucke reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück, darunter befinden sich Lehrmaterialien, Matrikel- und Quittungsbücher sowie Handschriften, Erstdrucke und historische Aufführungsmaterialien aus der Chorbibliothek. Die Sammlung bildet damit einen einzigartigen Schatz, der nicht nur die Geschichte des Thomanerchores dokumentiert, sondern in gleicher Weise Zeugnis der Schul-, Kultur- und Alltagsgeschichte der Thomana insgesamt ist. In den weitgehend unerschlossenen Dokumenten schlummern noch viele Entdeckungen, deren die Musikwissenschaft und speziell die Bach-Forschung sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten annehmen werden.

 

Der Übernahme der Sammlung gingen im September 2018 eine erste Sichtung und im Februar 2019 die gründliche Auswahl und Einzeltitelerfassung in den Räumen des Thomasalumnats voraus. Unterstützt durch die Expertise von dem damaligen Geschäftsführer Dr. Stefan Altner und dessen Assistentin Felicitas Kirsten, die die Sammlung in den vergangenen Jahrzehnten zusammengehalten und betreut haben, wurde schnell die weitreichende musik- und kulturgeschichtliche Bedeutung des Bestandes deutlich: Das älteste Dokument des Sammlungsbestandes ist eine illuminierte venezianische Inkunabel aus dem Jahr 1471, die sich aus der einstigen Schulbibliothek erhalten hat. Autographes Fragment von J. F. DolesAus dem 17. Jahrhundert datieren die ersten handschriftlich geführten Schülerlisten, die bis in die Bach-Zeit und darüber hinaus nahezu lückenlosen Einblick in die Besetzung sowie die Alters- und Sozialstrukturen des Chores erlauben. Mehrere Quittungsbücher dokumentieren Zusatzeinnahmen der Thomasschullehrer, die sie aus Stiftungen von Leipziger Bürgern erhielten; darunter befindet sich ein Buch allein mit 14 Unterschriften von Johann Sebastian Bach, die den Erhalt von halbjährlichen Legatszahlungen in den Jahren von 1741 bis 1750 belegen. Von Bachs Schüler und Amtsnachfolger Johann Friedrich Doles (1715–1797) fand sich das autographe Fragment mit den letzten Takten einer verschollen geglaubten Kantate über Psalm 51 »Gott sei mir gnädig«. Aus jüngerer Zeit hat sich das Handexemplar der Bach-Gesamtausgabe von Karl Straube (1873–1950) erhalten; es dokumentiert die zahlreichen aufführungspraktischen Entscheidungen des Thomaskantors als dieser in den Jahren zwischen 1931 und 1937 mit dem Thomanerchor erstmals das Bachische Kantatenwerk nahezu vollständig im Rundfunk aufführte. Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verdient eine handschriftliche Chronik der Konzerte und Konzertreisen des Chores aus den 1950er Jahren besondere Erwähnung.

 

Digitalisate der wertvollsten Stücke dieser Sammlungserweiterung stehen Ihnen in unseren Digitalen Sammlungen zur Verfügung.

 

Der Musikalienhandel der Anna Carolina Philippina Bach

 

Im Dezember 2017 konnte das Bach-Archiv 37 eigenhändige Briefe von Carl Philipp Emanuel Bachs Tochter Anna Carolina Philippina für seine Sammlung erwerben. Sie erlauben einzigartige Einblicke in den Umgang der Erben mit dem musikalischen Nachlass des 1788 verstorbenen Hamburger Musikdirektors und in die Vertriebspraxis von Musikalien im ausgehenden 18. Jahrhundert.

 

Brief vom 27. Januar 1797Nachdem Carl Philipp Emanuel Bach im Alter von 74 Jahren in Hamburg verstorben war, ließ seine Witwe ein »Verzeichniß des musikalischen Nachlasses« anfertigen, in dem sämtliche dort enthaltene Werke Bachs systematisch verzeichnet sind, darunter »Instrumental-Compositionen«, »Singecompositionen« und natürlich auch »Compositionen von Johann Sebastian Bach«. Bereits zu Lebzeiten hatte sich C.P.E. Bach vor allem selbst um die Verbreitung seiner Werke bemüht und stand mit vielen Sammlern in Kontakt. Nach seinem Tod setzte die Witwe Johanna Maria den privaten Musikalienhandel mit dem Erbe ihres Mannes fort.

Die erworbenen 37 Briefe aus den Jahren 1790 bis 1804 erlauben Einblicke in die Organisation dieses privatgeführten Musikalienvertriebs. Es handelt sich um Dokumente zu den Geschäftsbeziehungen zu dem Musikaliensammler und Schweriner Organisten Johann Jacob Heinrich Westphal, die C.P.E. Bachs Tochter Anna Carolina Philippina zunächst im Auftrag der Mutter und nach deren Tod im Sommer 1795 selbstständig verfasst hat. Westphal hatte bereits seit einigen Jahren mit C.P.E. Bach in Kontakt gestanden und neben den geschäftlichen Verbindungen hatte sich zwischen den beiden bald auch eine Freundschaft entwickelt. Zusammen mit dem ersten Brief übersendet Anna Carolina Philippina deshalb dem »guten Freunde« auch gleich einen Portrait-Stich des Verstorbenen zum Andenken. In den weiteren Briefen geht es um den Versand von Musikalien, um Besetzungs- und Fassungsfragen der Werke und um Kontakte zu weiteren Sammlern und Liebhabern Bachscher Werke.

 

An J.J.H. Westphal adressierter Umschlag mit dem Siegel von C.P.E. Bachs Witwe

 

Mit Westphals musikalischem Nachlass gelangten die Briefe nach dessen Tod wohl in den Besitz des belgischen Musikforschers François-Joseph Fétis. Später finden sie sich im 1913 gegründeten Musikhistorischen Museum von Wilhelm Heyer in Köln und wurden nach dem Tod Heyers durch den Kustos des Museums Georg Kinsky an Ernst Fritz Schmid verkauft. Aus dessen Nachlass konnten die Briefe nun für die Sammlung des Bach-Archivs erworben werden.

 

> Hier geht es zu den Scans der Briefe in den Digitalen Sammlungen.

 

»An seinem Eigenthümlichen habe ich Händeln nichts entzogen«

 

Kürzlich konnte das Bach-Archiv Leipzig seine Sammlung an autographen Schriftzeugnissen der Leipziger Thomaskantoren um eine wichtige Handschrift erweitern. Mit Unterstützung der American Friends of the Leipzig Bach Archive haben wir ein bisher unbekanntes Autograph Johann Adam Hillers (1728–1804) erwerben können.

 

Hiller war ab 1781 der erste Kapellmeister des Gewandhausorchesters und in der Nachfolge Johann Sebastian Bachs von 1789 bis 1801 Thomaskantor in Leipzig. Sein Repertoire in Kirche und Konzert war neben wenigen Eigenkompositionen vor allem von Bearbeitungen fremder Werke geprägt, darunter Kompositionen von Giovanni Battista Pergolesi, Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart.

Bei dem nun erworbenen Autograph handelt es sich um die 1780 verfasste Vorrede zu Hillers lateinischer Ausgabe von Händels Utrechter Te Deum. Händel hatte das Werk bereits 1713 auf die Feier des Friedens von Utrecht komponiert und damals in London uraufgeführt. Für eine Aufführung in Leipzig versuchte sich Hiller an einer Übersetzung des ursprünglich englischsprachigen Werkes:

 

»Die Vortreflichkeit der Composition bewog mich zu einem Versuche, statt der engländischen Worte, andere, uns verständlichere, unter die Noten zu legen. Ich versuchte es erst mit den deutschen Worten des Herr Gott dich loben wir; da dieß aber nicht gelingen wollte, machte ich den Versuch mit den lateinischen, und fand, nach genauerer Untersuchung, daß ich zwar große Schwierigkeiten zu überwinden hätte, wenn ich weder den Worten Gewalt anthun, und hin und wieder eine oder die andere Stimme Unsinn sagen lassen, noch auch im Verändern der Noten mir allzuviel Freyheit erlauben wollte. Zu meinem Vergnügen fand ich bei der Arbeit selbst, daß mir anfänglich die Schwierigkeiten größer geschienen hatten, als sie wirklich waren.«
 

 

In seiner Bearbeitung führte Hiller das Te Deum erstmals zur Feier des Friedens von Teschen im Juni 1779 im Leipziger Konzert auf. Im folgenden Jahr erschien eine Druckausgabe des Werkes bei dem Leipziger Verleger Engelhard Benjamin Schwickert. Zusammen mit Hillers Ausgabe von Arien, Duetten und Chören aus dem Messias bestimmte es maßgeblich die deutsche Händel-Rezeption bis ins 19. Jahrhundert.

 

> Hier geht es zu den Scans der Handschrift in den Digitalen Sammlungen.

 

»Als Musiker zu Musikern von Bachs Musik reden«

 

Das Bach-Archiv Leipzig hat drei Bände (I, III, V) der sehr seltenen deutschsprachigen Ausgabe der »Sämtlichen Orgelwerke« von J. S. Bach, herausgegeben zwischen 1912 und 1914 von Charles-Marie Widor und Albert Schweitzer, als Geschenk der Musikhochschule Münster erhalten. Die in keiner weiteren deutschsprachigen Bibliothek erhaltenen Bände sind für unsere Sammlung von größtem Wert.

 

 

Albert Schweitzer (1875–1965) war neben seiner Tätigkeit als Arzt in dem von ihm gegründeten Krankenhaus in Lambaréné (Afrika) auch ein bedeutender Organist und Musikwissenschaftler, der sich vor allem mit dem Werk Johann Sebastian Bachs auseinander setzte. Er studierte ab 1898 in Paris Orgel bei Charles-Marie Widor (1844–1937), der ihn entscheidend beeinflusst hat. Die Beziehung der beiden entwickelte sich zu einer tiefen Freundschaft. Im Jahr 1900 beschäftigten sie sich mit den bis dahin am Pariser Konservatorium weitgehend unbekannten Choralvorspielen Bachs. Schweitzer, im Elsass aufgewachsen und sowohl des Deutschen als auch des Französischen mächtig, übertrug die Dichtungen der Choralvorspiele ins Französische und machte sie damit auch für Widor verständlicher. Daraufhin regte Widor die Entstehung einer französischsprachigen Einführung in Bachs Werke an: 1905 veröffentlichte Schweitzer schließlich das Buch unter dem Titel J.-S. Bach, le musicien-poète; die völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte deutschsprachige Fassung erschien 1908. Darin standen weniger biographische Aspekte im Mittelpunkt als vielmehr die Deutung des Wesens der Musik. Schweitzer wollte »als Musiker zu Musikern von Bachs Musik reden«.

 

Bereits 1907 trat der New Yorker Verlag G. Schirmer mit der Bitte an Charles-Marie Widor heran, eine Gesamtausgabe der Orgelwerke Bachs für den amerikanischen, französischen und deutschen Markt herauszugeben – Widor bat wiederum Albert Schweitzer um seine Mitarbeit. Eine Notenseite aus Band IIn ihrer neuen Ausgabe sollte der Notentext, der auf der Grundlage der alten Bach-Gesamtausgabe erstellt wurde, frei von allen Zusätzen der Herausgeber abgedruckt werden und sich dadurch von den bisherigen Ausgaben unterscheiden. Alle für den Organisten notwendigen Erklärungen wollten sie in ausführlichen Vorworten darlegen. Schweitzer entwarf Skizzen, die dann gemeinsam mit Widor ausgearbeitet wurden. Bei Differenzen entschied man, Widors Meinung für die französische und Schweitzers Meinung für die deutsche und englische Ausgabe zu berücksichtigen.

 

Der Gesamtplan der Ausgabe sah acht Bände vor – zwischen 1912 und 1914 erschienen die ersten fünf. Die Vorworte der fehlenden Bände VI–VIII waren im Sommer 1914 auch nahezu fertiggestellt. Aufgrund des Krieges und wegen schlechter Verkaufszahlen der ersten Bände (Schirmer konnte keinen europäischen Verlag für den Vertrieb der französischen und deutschen Ausgabe finden), legte der Verlag das gesamte Projekt vorerst auf Eis. Erst 1949 nahm Schweitzer die Arbeit an den restlichen Vorworten wieder auf, nun unter der Mitarbeit von Edouard Nies-Berger (1904–2002), da Widor inzwischen gestorben war. Der VI. Band erschien 1954, der VII. und VIII. Band erst zwei Jahre nach Schweitzers Tod. Diese drei Bände wurden ausschließlich in englischer Sprache publiziert; eine Fortsetzung der deutschen und französischen Ausgabe gab es nicht.

 

> Hier geht es zum Eintrag der Ausgabe in der Bach-Bibliographie.

 

Ein verschollenes Porträt von Bachs Enkel

 

Ein verschollen geglaubtes Porträt von Bachs Enkel, dem Berliner Komponisten Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759–1845), wurde dem Bach-Archiv Leipzig von der Sing-Akademie zu Berlin als Dauerleihgabe überlassen. Das Bildnis entstand um 1844 auf Veranlassung von Felix Mendelssohn Bartholdy im Umfeld der Einweihung des ersten Leipziger Bach-Denkmals. Im Jahr 2012 war es im Münchner Kunsthandel wieder aufgetaucht. Ab Januar 2016 wird es in der Schatzkammer unseres Museums zu sehen sein.

 

 

Als am 23. April 1843 das von Felix Mendelssohn Bartholdy gestiftete Bach-Denkmal in Leipzig eingeweiht wurde, wohnte auf Einladung des Stifters auch der letzte noch lebende Enkel des Thomaskantors der Feierstunde bei. Wilhelm Friedrich Ernst war von seinem Vater, dem Konzertmeister am Bückeburger Hof Johann Christoph Friedrich Bach, sowie von dessen Brüdern Carl Philipp Emanuel und Johann Christian ausgebildet worden. Später wirkte er als Lehrer der regierenden Königin Friederike Luise von Preußen.

 

Das in Öl auf Karton gemalte Portrait (253 x 202 mm) ist nicht signiert, wird aber dem Berliner Maler Eduard Magnus (1799–1872) zugeschrieben, der seinerzeit etliche Berliner Musikerpersönlichkeiten porträtierte und ein enger Freund Felix Mendelssohn Bartholdys war. Das Porträt befand sich zunächst im Besitz der Familie und gelangte nach dem Tod von Wilhelm Friedrich Ernsts Tochter Caroline im Jahr 1871 in den Besitz der Sing-Akademie zu Berlin.

 

Der damalige Direktor der Sing-Akademie August Eduard Grell vermerkte auf der Rückseite des Bildes Angaben zur Biografie des Portraitierten, zur Leipziger Denkmals-Weihe und zur Provenienz des Gemäldes. Im Jahr 1919 gab der spätere Direktor der Sing-Akademie Georg Alfred Schumann eine Kopie des Bildes in Auftrag, die dann ins Bach-Museum nach Eisenach gelangte. Danach verloren sich die Spuren des Originals, bevor es im März 2012 im Münchner Kunsthandel wieder auftauchte. Am 6. Dezember 2015 wurde das Bildnis von seinem Entdecker, dem vormaligen Leiter des Münchner Stadtarchivs Dr. Richard Bauer, im Rahmen einer Feierstunde im Bach-Archiv Leipzig der Sing-Akademie zu Berlin rückübereignet. Der Vorstand der Sing-Akademie verfügte die Übergabe des Bildes als Dauerleihgabe an das Bach-Museum Leipzig. Es wird nun in der Schatzkammer unseres Museums – und damit unweit des von Felix Mendelssohn Bartholdy gestifteten Bach-Denkmals – eine neue Heimat finden.

 

Matthias Claudius zu Besuch bei Carl Philipp Emanuel Bach

 

Im Jubiläumsjahr zum 200. Todestag von Matthias Claudius konnte das Bach-Archiv einen seit Jahrzehnten verschollenen Brief des Dichters erwerben, in dem Claudius über ein Privatkonzert bei Carl Philipp Emanuel Bach berichtet.

 

 

Es muss ein großes Vergnügen gewesen sein, Carl Philipp Emanuel Bach bei einem Besuch in seiner Hamburger Wohnung an einem seiner Instrumente erleben zu können. Im Oktober 1768 gelang es dem damals 29-jährigen Matthias Claudius in diesen Genuss zu kommen, indem ihn sein Dichterkollege gestattet, ihn auf einen Besuch bei Bach zu begleiten: »Ich allein konnte Bachen nicht zum Spielen bringen, daher ich Lessingen bat, mich einmal mitzunehmen.«

 

Bach bekleidete sein Amt als Hamburger Musikdirektor damals noch  nicht einmal ein Jahr und schon war nicht nur sein Spiel, sondern offenbar auch sein Instrument in aller Munde: »Das kleine berühmte Silbermannsche Clavier hat einen hellen, durchdringenden, süßen Ton, keine außerordentliche Stärke im Baß, keinen außerordentlich sanften, schmeichelnden Diskant und geht nur bis e’’’. Auf diesem Clavier spielte Bach zwey Adagio und ein Allegro, die er ausdrücklich für dieses Clavier gesetzt hat.«

 

Claudius vergleicht Bachs Spiel mit dem ruhigen Vortrag eines Redners, der seine Gedanken wohl überlegt vorträgt. Gerade deshalb dürfte der Dichter Bach anschließend gebeten haben, seine Fantasia in c-Moll (aus der Klaviersonate Wq 63/6) vorzutragen. Das Stück galt unter den zeitgenössischen Kunstästhetikern als Paradebeispiel des sogenannten ›Redenden Prinzips‹ in der Musik. Die dahinterstehenden Überlegungen gingen schließlich sogar soweit, dass der Dichter Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (an den dieser Brief übrigens gerichtet ist) Bachs Klavierfantasie mehrere Gesangstexte unterlegte, um die Sprachgewalt, die auch instrumentale Kompositionen böten, zu illustrieren.

 

> Hier geht es zu den Scans des Briefes in den Digitalen Sammlungen.

 

Außerdem: Hören Sie in unserem youtube-Kanal Carl Philipp Emanuel Bachs Fantasia in c-Moll, interpretiert von Jean-Christophe Dijoux, Bach-Preisträger des XIX. Internationalen Bach-Wettbewerbs Leipzig 2014.

 

 

Bach kehrt nach Leipzig zurück!

 

Nach 265 Jahren kehrt das berühmte Bach-Portrait des Leipziger Malers Elias Gottlob Haußmann aus dem Jahr 1748 nach Leipzig zurück. Ermöglicht wurde dies durch den amerikanischen Musikwissenschaftler und Philanthrop Dr. William H. Scheide, der anlässlich seines 100. Geburtstag das Bach-Archiv Leipzig als Erben des Bildes bestimmte. Nun ist es Teil unserer Sammlung und wird dauerhaft im Bach-Museum ausgestellt.
 

 

 

Das Bild zeigt Johann Sebastian Bach im Alter von etwa 60 Jahren in förmlicher Pose. In der rechten Hand hält der Abgebildete ein Blatt mit dem »Canon triplex à 6 Voc: per J. S. Bach« als Hinweis auf die raffinierte Beherrschung seines Handwerks. Haußmann fertigte das Portrait in zwei Exemplaren aus. Wesentlich besser erhalten ist das zweite Original aus dem Jahr 1748. Dieses fasziniert durch seine strahlenden Farben und scharfen Konturen ebenso wie durch eine bewegende Geschichte. Das Bild von 1748 entstammt dem Erbteil von Carl Philipp Emanuel Bach und wurde einst als Teil der umfangreichen Portraitsammlung des zweitältesten Bach-Sohnes in Hamburg ausgestellt. Im Nachlassverzeichnis des »Hamburger Bach« aus dem Jahr 1790 wird es folgendermaßen beschrieben: »Bach (Johann Sebastian) Kapellmeister und Musik-Director in Leipzig. In Oel gemahlt von Haus-mann. 2 Fuß, 8 Zoll hoch, 2 Fuß, 2 Zoll breit. In goldenen Rahmen.«

 

Ab dem frühen 19. Jahrhundert war das Gemälde im Besitz der jüdischen Familie Jenke aus Breslau. Walter Jenke, Nachfahre der einstigen Käufer, musste in den 1930er Jahren aus Deutschland emigrieren. Um das Gemälde vor den Bombenangriffen zu schützen, bewahrte Jenke das Bild auf dem Landsitz der befreundeten Familie Gardiner in Dorset auf. Sir John Eliot Gardiner, der ehemalige Präsident des Bach-Archivs, konnte so im Angesicht von Bachs Antlitz aufwachsen.

 

1952 erwarb der Bach-Forscher und -Sammler William H. Scheide aus Princeton/New Jersey das Bild bei einer Auktion. Scheide, der bereits im Bach-Jahr 1985 den Wunsch geäußert hatte, »sein Bach« möge eines Tages nach Hause zurückkehren, hatte dem Leipziger Bach-Archiv anlässlich seines Besuchs beim Bachfest Leipzig 2003 ein exklusives Vorkaufsrecht eingeräumt. Gemeinsam mit seiner Frau Judith bestimmte er schließlich das Bach-Archiv zum Erben des Bildes. Bill Scheide starb am 14. November 2014, als Mitglied des Kuratoriums gehörte er seit 2001 zu den großzügigsten und langjährigsten Förderern des Bach-Archivs Leipzig.

 

Inspirationsquelle für die Matthäus-Passion

 

Seit einigen Jahren bemüht sich das Bach-Archiv um die Rekonstruktion von Bachs theologischer Bibliothek. In der »Specificatio der Verlaßenschaft des seelig verstorbenen Herrn Johann Sebastian Bachs« – also dem Inventar über Bachs Nachlass aus dem Jahr 1750, das sich im Leipziger Staatsarchiv erhalten hat – findet sich eine Aufstellung von über drei Dutzend Titeln geistlicher Bücher, die einen Eindruck von Bachs weitreichendem theologischen Interesse vermitteln. Durch Erwerbungen auf dem internationalen Antquariatsmarkt versucht das Bach-Archiv nun Bachs Bücherschrank in Form von Parallelexemplaren der verzeichneten Werke zu rekonstruieren.

 

 

 

Die »Apostolische Schlußkette und Krafft-Kern oder gründliche Außlegung der gewöhnlichen Sonn- und Festtagsepisteln« (hier in der dritten Auflage von 1680) besaß Bach gleich in mehreren Ausgaben. Ihr Verfasser ist der Rostocker Theologe Heinrich Müller (1631–1675), dessen Schriften im 17. und 18. Jahrhundert in den protestantischen Reichsgebieten weit verbreitet waren. Gedanken und sprachliche Bilder aus seinen Passionspredigten dienten noch Bachs Leipziger Textdichter Christian Friedrich Henrici, alias Picander, als Vorlage zum Libretto der Matthäus-Passion.

 

> Hier geht es zum Eintrag des Werkes in der Bach-Bibliographie.

 

Ein Vorbild für Bachs »Clavier-Übung«

 

Ein besonders schönes Exemplar der seltenen Erstausgabe von Johann Kuhnaus »Neuer Clavier-Übung« (1689) konnte vom Bach-Archiv schon 2012 beim Auktionshaus Sotheby's erworben werden.

 

 

 

Den Titel »Clavier-Übung« verbinden wir heute in erster Linie mit den Klavierkompositionen, die Johann Sebastian Bach zwischen 1731 und 1741 in vier Teilen im Druck veröffentlicht hat – darunter befinden sich so bekannte Werke wie das Italienische Konzert und die Goldberg-Variationen. Tatsächlich geht der Begriff der Clavier-Übung aber auf eine Sammlung von Bachs Leipziger Amtsvorgänger Johann Kuhnau (1660–1722) zurück. Bevor dieser von 1701 bis 1722 das Thomaskantorat verwaltete, war er bereits von 1684 an Organist an der Thomaskirche gewesen. In dieser Zeit veröffentlichte er seine zweiteilige, aus jeweils sieben Suiten bestehende »Neue Clavier-Übung«. Ausgehend von Kuhnaus Sammlung wurde der Titel »Clavier-Übung« bald zum Inbegriff anspruchsvoller Clavier-Literatur. Neben Kuhnau und Bach findet er sich auch bei Johann Krieger in Zittau, Johann Ludwig Krebs in Zwickau, Georg Andreas Sorge in Lobenstein und Vincent Lübeck in Hamburg.

 

Kuhnau war der letzte große Universalgelehrte, der das Amt des Thomaskantors in Leipzig bekleidete. Neben seinen Kompositionen – er schrieb viele Kantaten, Clavier-Werke und sogar eine Oper – wurden seine literarischen, juristischen, mathematischen wie auch linguistischen Fähigkeiten und Kenntnisse von den Zeitgenossen gleichermaßen geschätzt.

 

Bereits 2012 konnte das Bach-Archiv ein besonders schönes Exemplar der heute extrem seltenen Ausgabe von Kuhnaus Clavier-Übung von 1689 erwerben. Das handkolorierte Titelkupfer zeigt Kuhnau vor dem Hintergrund einer Gebirgslandschaft, die auf seine Herkunft aus dem erzgebirgischen Geising mit dem nahegelegenen Schloss Lauenstein zu verweisen scheint.

 

> Hier geht es zum Eintrag des Werkes in der Bach-Bibliographie.

 

»Ein gnädiger und Music so wohl liebender als kennender Fürst«

 

Ein unbekanntes Portrait von Fürst Leopold zu Anhalt-Köthen, Bachs musikliebendem Dienstherren der Jahre 1717 bis 1723, konnte kürzlich für unsere Sammlung erworben werden.

 

Fürst Leopold zu Anhalt-Köthen (1694–1728) zählt zu den bedeutendsten Förderern Johann Sebastian Bachs. Nach einer ausgedehnten Kavalierstour, die ihn zwischen 1710 und 1713 in die musikalischen Zentren Europas geführt hatte, begann er in seinem kleinen Fürstentum unmittelbar mit der Gründung einer eigenen Hofkapelle. Für die Leitung dieses Ensembles konnte er ab 1717 Johann Sebastian Bach gewinnen, der in Köthen einige seiner glücklichsten Jahre verbringen sollte. Hier komponierte er viele seiner berühmtesten Instrumentalwerke, darunter die Brandenburgischen Konzerte, die Partiten und Sonaten für Solovioline und die Cellosuiten. Dass der Fürst ihm die besten Rahmenbedingungen für seine Arbeit bot, schreibt Bach noch über ein Jahrzehnt später, zu einer Zeit als er sich in Leipzig mit einer »der Music wenig ergebenen Obrigkeit« – dem Leipziger Rat – wohl oder übel arrangieren musste: »Daselbst [in Köthen] hatte einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey welchem auch meinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenißimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey besagtem Fürsten in etwas laulicht werden wolte, zumahln da die neue Fürstin schiene eine Amusa zu seyn.«

 

Der offenbar musik-feindlichen Haltung von Leopolds Gattin ungeachtet, blieb Bach seinem Fürsten auch nach seiner Übersiedelung nach Leipzig noch bis zu dessen Tod verbunden. Den Erstdruck von Partita I (BWV 825) aus der Clavier-Übung widmete er 1726 dem im selben Jahr geborenen Köthener Erbprinzen und Leopolds frühen Tod im Alter von gerade einmal 33 Jahren besang der Thomaskantor mit der Trauermusik »Klagt, Kinder, klagt es aller Welt« (BWV 244a).

 

Bei dem nun erworbenen Portrait handelt es sich um eine Ölminiatur (8 x 6 cm) aus den Jahren um 1715/20, auf deren Rückseite der Schriftzug »Leopold ... Anno 22« zu lesen ist. Mithin scheint das Portrait den jungen, erst 22jährigen Fürsten etwa zu jener Zeit zu zeigen, als er Johann Sebastian Bach zu seinem Hofkapellmeister berief.

 

Das Köthener Schloss im 17. Jahrhundert (Bach-Archiv Leipzig, Graph. Slg. 11-32)

 

Bachs letzte Amtshandlung

 

Ein lange verschollen geglaubtes Dokument zu Bachs letzter Amtshandlung ist nach Leipzig zurückgekehrt. Es handelt sich um die Quittung einer Auszahlung aus dem »Legatum Lobwasserianum«, die zuletzt 1908 bei einer Versteigerung des Leipziger Auktionshauses C. G. Boerner zu sehen war. Der Umstand, dass die Unterschrift bei Empfang der Legatszahlung von seinem jüngsten, damals 14jährigen Sohn Johann Christian geleistet wurde, ist einziges Zeugnis von Bachs labilem Gesundheitszustand nach der Augenoperation durch den Okulisten John Taylor.

 

 

Ein einziges Dokument gibt heute Auskunft über den Zustand Johann Sebastian Bachs nach der Augenoperation durch den englischen Okulisten John Taylor im April 1750. Der Quittungszettel - zuletzt 1908 bei einer Versteigerung des Leipziger Auktionshauses C. G. Boerner zu sehen und lange verschollen geglaubt – ist Zeugnis der letzten nachweislichen Amtshandlung des Thomaskantors. Johann Sebastian Bach beauftragt Anfang Juli 1750 seinen jüngsten Sohn, den knapp 15jährigen Johann Christian, die jährlich anfallende Auszahlung aus dem »Legatum Lobwasserianum« in Empfang zu nehmen und zu quittieren. Noch im selben Monat verstirbt der Komponist.

 

Bachs Augenarzt John Taylor (1703–1772, Bach-Archiv Leipzig, Graph. Slg. 2/21)Der Umstand, dass die Unterschrift bei Empfang der Legatszahlung nicht von Bach selbst, sondern von seinem jüngsten Sohn Johann Christian geleistet wurde, deutet darauf hin, dass Bach möglicherweise damals schon außer Stande war, die Kantorenwohnung am Thomaskirchhof zu verlassen. Da die Verwaltung und Auszahlung des Lobwasserschen Kapitals durch einen Diakon der Thomaskirche erfolgt ist, hätte Bach seine Wohnung vielleicht aber nicht einmal verlassen müssen, um die Zinsgelder in Empfang zu nehmen. Die Schriftzüge des Sohnes Johann Christian erinnern uns eindrucksvoll daran, dass Bach nach der Augenoperation im April seine Sehkraft einbüßte und dass seine Gesundheit schon vier Wochen vor seinem Tod so labil war, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, selbst einfachste Schreibdienste noch selbst zu erledigen.

 

Das »Legatum Lobwasserianum« geht auf eine Stiftung der frommen Leipziger Juristenwitwe Maria Lobwasser († 28. 4. 1610) in Höhe von 1.000 Gulden zurück. Die jährlich anfallenden Zinserträge dieses Kapitals von 50 Gulden waren zur Unterstützung der Kirchen- und Schuldiener zu St. Thomas bestimmt, wobei dem Kantor, dem Konrektor und dem Tertius der Thomasschule jeweils 2 Gulden zustanden. Dies entspricht etwa der Größenordnung des durchschnittlichen Wochenlohns eines Organisten der Bach-Zeit. Die Auszahlung erfolgte auf Wunsch der Verstorbenen am Tag Mariae Heimsuchung, dem 2. Juli.

 

Im Dezember 2014 tauchte die untere Hälfte des Blattes (mit der Quittung von 1750) auf einer Auktion der Firma Swann’s in New York auf. Der Dokumentation war zu entnehmen, dass sich zumindest dieses Fragment vormals im Besitz der berühmten Cembalistin Wanda Landowska (1879–1959) befunden hatte. Mit der großzügigen Unterstützung von drei Kuratoriumsmitgliedern des Bach-Archivs Leipzig – Catherine von Fürstenberg-Dussmann, Elias N. Kulukundis und Arend Oetker – gelang es, das Dokument wieder nach Leipzig zurückzuholen und ihm im Bach-Archiv Leipzig eine dauerhafte Bleibe zu geben.

 

> Hier geht es zu den Scans der Handschrift in den Digitalen Sammlungen.

 

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