Wilhelm Friedemann Bach

Wilhelm Friedemann BachDer am 22. November 1710 in Weimar geborene Wilhelm Friedemann Bach ist der älteste Sohn Johann Sebastians. Er erhielt eine umfangreiche Schulausbildung, welche von der lutherischen Lateinschule in Köthen (ab 1717) über die Leipziger Thomasschule (ab 1723) bis hin zur Leipziger Universität reichte, an der er seit 1729 neben Jura auch Philosophie und Mathematik studierte.

Um 1727 nahm er Geigenunterricht bei Johann Gottlieb Graum, sechs Jahre später trat er die Organistenstelle der Sophienkirche in Dresden an. Seine ersten Kompositionsversuche reichen jedoch in seine Kindheit zurück: Schon früh erhielt er regen Musikunterricht durch den Vater, sodass er bereits mit zehn Jahren in der Lage war, das »Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach« anzufertigen, welches Eintragungen bis 1725/26 enthält. Während dieser Jahre (1724–1726) ist er auch als Schreiber der Kantatenstimmen seines Vaters nachgewiesen.

Den Beinamen »Hallescher Bach« verdankte er seiner Entscheidung, im April 1746 das Amt des Musikdirektors und Organist in der Liebfrauenkirche zu Halle anzunehmen – eine Stelle, die in vieler Hinsicht der des Vaters in Leipzig entsprach und wo er auch einige dessen Kantaten aufführte. Ebenso wie in Dresden, wo Johann Gottlieb Goldberg zu seinen Schülern gehörte, hatte Wilhelm Friedemann auch in Halle zu unterrichten; darüber hinaus unterlag ihm die Leitung des Stadtsingechores.

Mit seiner ersten Frau Dorothea Elisabeth Georgi (ca. 1725–1791) hatte er drei Kinder, von denen aber lediglich seine Tochter Friederica Sophia das Erwachsenenalter erreichte, Wilhelm Adolf und Gotthilf Wilhelm verstarben bereits im Kindesalter.

Im Jahre 1763 erreichte Wilhelm Friedemann Bach das Angebot, in Hessen-Darmstadt die Nachfolge Christoph Graupners als Kapellmeister anzutreten. Obwohl er sich dagegen entschied und in Halle blieb, durfte er aber dennoch den Titel »Hessen-Darmstädtischer Kapellmeister von Haus aus« führen. Zunächst gereichte ihm sein Improvisationstalent zu Ruhm und Ehre – auch innerhalb seiner Familie. So ist der Ausspruch seines Bruders Carl Philipp Emanuel überliefert, Wilhelm Friedemann hätte den Vater eher ersetzen können, als alle anderen seiner Kinder zusammen. Tatsächlich stand er in der Reihe der Bach-Söhne stilistisch »in der Originalität seiner Gedanken seinem Vater am nächsten«, was sicherlich auch daraus resultierte, dass Wilhelm Friedemann als einziger seiner Geschwister noch zwischen 1736 und 1739 mit dem Vater anspruchsvolle Kontrapunktübungen durchführte und satztechnische Problemstellungen besprach.

Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – gab der in Halle immer unzufriedener werdende Künstler 1764 auch seine dortige Profession auf. Der Wunsch, sich seinen Lebensunterhalt seitdem ohne feste Anstellung durch Konzerte, Unterricht und Kompositionen zu verdingen führte jedoch dazu, dass sich bereits nach kurzer Zeit seine finanzielle Situation beträchtlich verschlechterte. Seine so gewonnene Freiheit nutzte er für zahlreiche Ortswechsel. Er zog 1770 nach Braunschweig, 1774 nach Berlin und besuchte Johann Nikolaus Forkel in Göttingen. Es gelang ihm allerdings nicht, erneut Fuß zu fassen: Vergeblich bewarb sich Wilhelm Friedemann in Braunschweig und Wolfenbüttel als Organist. Somit zählt der Komponist als einer der Pioniere derer, die als freischaffende Musiker zu leben versuchten – wenn auch nicht aus freier Entscheidung. Die sozialen Voraussetzungen für das freie Künstlertum standen zu jener Zeit in Deutschland noch ganz am Anfang. Für Bach bedeutete das, in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten, aus der er sich nicht befreien konnte. Einen Hoffnungsschimmer sah er in den Jahren 1774 bis 1776, als er in Berlin zahlreiche von Erfolg gekrönte Orgelkonzerte geben konnte, die maßgeblich zu seinem exzellenten Ruf beitrugen, und ihm Prinzessin Anna Amalia, die Schwester des Preußenkönigs Friedrich II., ihre Unterstützung zusagte. In der Hoffnung, eine feste Anstellung am Hof zu erhalten, soll er sogar versucht haben, gegen Johann Philipp Kirnberger zu intrigieren, seines Zeichens preußischer Kapellmeister und Anna Amalias Kompositionslehrer. Dieser Versuch, Kirnberger aus seinem Amt zu drängen, führte jedoch dazu, dass ihm die von der Prinzessin gewährte finanzielle Unterstützung wieder entzogen wurde. Wilhelm Friedemanns Versuche, die konservativen musikalischen Vorlieben Anna Amalias zu bedienen, stellten ihn ins Abseits seiner übrigen Zeitgenossen, sodass er – von ausbleibender Anerkennung gekennzeichnet, 1784 mit 73 Jahren in ärmlichen Verhältnissen in Berlin starb. An der Stelle seines Grabes auf dem Luisenstädtischen Friedhof, das durch dessen Einebnung nach dem Zweiten Weltkrieg verloren ist, erinnert heute eine Stele mit Porträt an Wilhelm Friedemann Bach.

Nach seinem Tode litt der Name des Künstlers unter dem einseitigen Bild, das viele seiner Zeitgenossen während seiner letzten Lebensjahren von ihm hatten. Starrer Künstlerstolz, Zerstreutheit, Streitlust und Trunkenheit werden ihm 1858 in Albert Emil Brachvogels Roman »Wilhelm Friedemann Bach« unterstellt; frei erfundene Vorwürfe, unter denen der Ruf des Komponisten noch lange Zeit zu leiden hatte. Erst die Wiederentdeckung eines Großteils seiner Werke, die als Teil des verschollen geglaubten Archivs der Sing-Akademie zu Berlin 1999 von Christoph Wolff in Kiew gefunden wurde, konnte die Aufarbeitung der Werke Bachs und damit einer fundierteren Beschäftigung mit dem Komponisten signifikant voranbringen.

Zum 300. Geburtstag des ältesten Sohns Johann Sebastians erschien 2010 eine elfbändige wissenschaftlich-kritische Gesamtausgabe aller überlieferten Werke von Wilhelm Friedemann Bach. 2012 erschien das neue thematisch-systematische Werkverzeichnis, welches das bisherige Verzeichnis nach Martin Falck ablöst.

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